Trocken gereift
„Wie findest du Dry Aged?“, fragt
mich Gunter ziemlich unvermittelt, als wir nebeneinander am Grill stehen, ein
kühles Bier in der Hand und das brutzelnde Fleisch betrachtend.
Er hat mich auf dem falschen Fuß
erwischt. In meinen Hirnwindungen arbeitet es fieberhaft, aber der Speicher
will zu diesem Begriff einfach keine Informationen finden. Ich übersetze:
„Trocken gealtert“. Na ja, das kann alles heißen.
Geht es um Mumien? Oder um eine
hundertfach geliftete Hollywood-Diva?
Schulterzuckend muss ich
eingestehen, dass ich diesen Begriff zum ersten Mal höre und muss mir von Gunter
in seiner unnachahmlich ausführlichen Art erklären lassen, dass es sich um eine
jahrhundertalte Technik der Fleischreifung handelt. „Abhängen“ – so wurde diese
Methode noch bis vor kurzem genannt. Und im Abhängen kennt sich Gunter sehr gut
aus.
„Früher, da haben die Männer die
Büffel gejagt, ausgenommen, zerteilt und das Fleisch dann tagelang in der
feuchten Luft ihrer Höhlen hängen lassen“, erläutert Gunter. Ich nicke wissend,
frage mich jedoch im Stillen, in welche Epoche der Geschichte mich mein
Gesprächspartner zurückversetzen möchte, welche Büffel und welche Höhlen er
meint.
„Du musst ‚Dry Aged Beef‘ unbedingt
probieren“, reißt mich Gunter aus meinen Gedanken. „Das ist der ultimative
Fleisch-Kick. Wie in der Steinzeit.“
Aha, jetzt weiß ich, wohin es Gunter
geschichtlich verschlagen hat. Heute leben nicht wenige Vertreter des starken
Geschlechts, deren tätowierte und muskelbepackte Oberarme mich tatsächlich an
Höhlenmenschen erinnern, ihren Jagdtrieb bei den Grill-Sonderangeboten im
Discounter aus, um das Billigfleisch dann auf den Rost des sündhaft teuren Gasgrills
zu schmeißen – gewürzt und mit Glutamat aufgeputscht ist es ja schon. Aber soll
ich jetzt auch so werden oder essen wie in der Steinzeit?
Zum Glück sind unsere Steaks – vom
Angus-Rind wohlgemerkt und nicht vom Discounter – fertig, ich lege mir eines
auf den Pappteller und suche mir einen Platz an einer der Bierbänke. Im
Weggehen sehe ich, dass Gunter schon ein neues Opfer gefunden hat.
Ein paar Tage später erinnere ich
mich an das Gespräch mit Gunter und beginne zu Recherchieren. „Dry Aged“ klingt
natürlich viel cooler als „Trockenreifung“, meint aber das Gleiche: Das Fleisch
an der Luft bzw. in einem speziellen Kühlschrank, der eine Luftfeuchtigkeit von
ca. 60 Prozent und eine Temperatur um den Gefrierpunkt herum garantiert - und
das drei bis vier Wochen lang. So kann austretende Flüssigkeit verdampfen und
das Fleisch trocken reifen.
Während der Reifezeit entstehen
Aromen aus Nuss und Butter, die Konsistenz verbessert sich: Die Fasern werden
weicher und das Steak dadurch zarter. Außerdem bildet sich bei der
Trockenreifung der Farbstoff Myoglobin, der das Fleisch dunkelrot färbt.
Dry aged Rip-Eye-Steak vor der Zubereitung |
Mit diesem neuen Wissen
ausgerüstet, steige ich ins Auto und nehme eine Fahrt von zwanzig Kilometer auf
mich. Denn nicht jeder Metzger bietet das Fleisch in einer ansprechenden
Qualität und zu einem akzeptablen Preis. In Herxheim (Pfalz) werde ich fündig,
lasse mich eingehend beraten, erfahren so Einiges über Steaksorten,
Fettanteile, Reifezeiten und Zubereitungsarten. Am Ende trage ich knapp 500 g
Rib-Eye-Steak aus dem Laden.
Eine Stunde später brutzelt das
Fleisch in der Pfanne, drei Minuten auf jeder Seite. Dann kommt es bei einer
Temperatur von 100 Grad für zehn Minuten in den Ofen. Das Resultat ist
beeindruckend und ich muss Gunter insgeheim zustimmen: Ein besonderer
Gaumenkick, besonders dann, wenn man nur Fleisch gewohnt ist, aus dem beim
Braten Wasser läuft wie aus einem ausgedrückten Schwamm.
Zugegeben: „Dry Aged“ ist teuer,
aber ab und an sollte man sich diese Freude gönnen.
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